Nutzung des Webs im Gefängnis.

Das Konzept "EBOOKERIA" wurde im Rahmen von Net.Practice, einer Lehrveranstaltung im Masterstudiengang Webwissenschaften Art & Design, realisiert. Themenvorgabe war Nutzen des Webs für Randgruppen herauszufiltern, was mich zum Thema Gefängnis und Internet führte. Das Internet wird früher oder später legal Einzug in die Wände der Justizvollzugsanstalten erhalten. Andere Medien wie Radio oder Fernsehen haben dies vorgemacht, aber im Unterschied zu diesen beiden Medien handelt es sich beim Internet nicht um Einwegkommunikation. Man erhält vielmehr die Möglichkeit, nicht nur Inhalte zu beziehen sondern auch welche zu gestalten.

Dies dient als Basis für mein Konzept Namens "EBOOKERIA". Zum Einen wird eine Plattform Namens EBIB erstellt, welche den Insassen alle für sie verfügbaren E-Books zum Download zur Verfügung stellt. Auf dieser Plattform können auch Kommentare zu Büchern verfasst werden und es kann abgestimmt werden, welche Bücher zukünftig das bestehende Kontingent erweitern. Zum Anderen wird genau diese Kommunikationsmöglichkeit verwendet um verschlüsselt den Handel von diversen Konsumutensilien und Substanzen zwischen den Inhaftierten innerhalb der Justizvollzugsanstalten abzuwickeln. Dieser Handel existiert auch jetzt. Die Güter sind nur eingeschränkt verfügbar und am ehesten zugänglich für Insassen, welche gut vernetzt sind. Gefragte Güter in Gefängnissen sind beispielsweise Zigaretten, Filter, Papers, Cannabis oder Substitute. Die Plattform EBIB soll den Häftlingen helfen mittels diverser verschlüsselter Zeichen ihren Bedarf an bestimmten Gütern anzumelden und Tauschhandel für die nächste Pause im Hof zu organisieren.


Ausgangssituation

Der Handel innerhalb der Vollzugsanstalten existiert. Konsumutensilien werden bei kürzerer Haftdauer von den Häftlingen selbst eingeschleust. Bei längerer Haftdauer funktioniert die Versorgung von Aussen. Durch die eingeschränkte Verfügbarkeit bestimmter Güter innerhalb der Justizvollzugsanstalten ergibt sich eine hohe Nachfrage und weniger Angebot und somit folglich eine Verteilungsungerechtigkeit. Häftlinge mit langjähriger Gefängniserfahrung oder Häftlinge, welche gut netzwerken können, kennen die Versorgungsstruktur. Konsumutensilien können beispielsweise Zigaretten, Filter, Kondome, aber auch Drogen sein. Drogenkonsum existiert in den Justizanstalten, trotz Kontrollen. Konsumiert werden vor allem Cannabis und Substitute (Beispiele: Polyamidon, Benzodiazepine). Vor allem Benzodiazepine werden vom Arzt / von der Ärztin in der Vollzugsanstalt nicht weiter verschrieben, auch wenn sie am Suchtmittelrezept aufgelistet sind. Motive für den Drogenkonsum in der Haft können zum einen Selbstversorgung, zum anderen Suchtdruck oder Zeitvertreib sein.

Für dieses Konzept besteht die Annahme, dass Häftlinge beschränkt Zugang zu Internet haben. Dieser Artikel in der Tagesschau vom Dezember 2012 zeigt, dass die Möglichkeit für Häftlinge, Internet zu benutzen, durchaus heiß diskutiert wird. Im Zuge meiner Recherchen bin ich auch auf die Kampagne „gleiches Recht für alle, freier Zugang zum Internet als Menschenrecht auch im Knast“ (22.06.2013) gestoßen, welcher auch sehr interessante Interviews von Gefangenen zur Thematik beeinhaltet.

Vision

Man kann davon ausgehen, dass nur bestimmte Seiten im Internet zugänglich sein werden und es wäre naheliegend, dass ein eigens für die JVA eingerichteter E-Book-Store eingerichtet wird. Dieser trägt in meinem Projekt den Namen EBIB, als Abkürzung für: elektronische Bibliothek. Diese Bibliothek bietet den Häftlingen die Möglichkeit E-Books downzuloaden und über sie zu diskutieren und diese zu bewerten. Auch über Zuwachs zum Kontingent kann aus einer von der Justizvollzugsanstalt getätigten Vorselektion abgestimmt werden. Diese Möglichkeit zur Interaktion wird aber auch genutzt um Konsumutensilien und diverse Substanzen innerhalb der Justizanstalt zu tauschen. Damit erreicht man einen leichteren Zugang zu diversen Gütern für allen Insassen.


Verschlüsselung

Verschlüsselung und Kriminalität haben einen engen Zusammenhang. Im Gefängnis findet eine sogenannte maskierte Geheimschrift ihre Verwendung. Es existieren eine Reihe von Wörtern die für Häftlinge eine ganz andere Bedeutung haben. Hier ein paar Beispiele:

Neben textlicher Verschlüsselung existieren schon seit jeher geheime grafische Zeichen, welche bestimmte Bedeutungen haben. Solche Zeichen werden Zinken oder auch Gaunerzinken genannt (Wikipedia, 22. Juni 2013). In der heutigen Zeit findet man solche Zeichen bei Wohnungseinbrüchen oder eine sehr moderne Variante ist die Verwendung für das sog. Wardriving. Es werden Häuser markiert, welche mit einem ungeschützen oder wenig geschützten WLAN ausgestattet sind.


Verschlüsselung in EBIB

Bei der Verschlüsselung in EBIB kann weder auf Zinken noch auf Wörter welche eine für die Gefangenen eine andere Bedeutung haben zurückgegriffen werden, da beides sehr schnell aufgedeckt werden würde. Es müssen andere Regeln definiert werden.

  1. Auswahl des Konsumgutes

    Man kann entweder die Genres der Bücher verwenden um die Art des benötigten Konsumguts zu definieren (Beispiel: Biografie steht für Zigaretten), oder die etwas komplexere Variante wäre die Anzal der Worte des Buchtitels für die Deklaration zu verwenden. Dafür muss eine Aufzählung der Konsumutensilien in fixer Reihenfolge bestehen und diese wird dann mit der Anzahl der Wörter im Buchtitel abgeglichen.

    Die fixierte Reihenfolge der Konsumutensilien könnte wie folgt aussehen: 1 Papers, 2 Filter, 3 Zigaretten, 4 Cannabis, 5 Substitute, 6 frischen Nadeln.

    Beispiele:
    • Buchtitel mit 3 Wörtern -> Zigaretten
    • Buchtitel mit 5 Wörtern -> Substitute
    • Buchtitel mit 12 Wörtern -> frische Nadeln

  2. Anfrage

    Hat man ein "passendes" Buch ausgewählt kann man mit einem Kommentar unter dieses den Bedarf anmelden. Bestimmte Zeichenkombinationen, welche im Textfluss nicht auffallen, aber trotzdem mit einer gewissen Absichtlichkeit gesetzt werden, ergeben dann die Anfrage nach einem bestimmten Konsumgut. Als solche Zeichenkombinationen wäre zum Beispiel denkbar, in einem Kommentar genau zwei Smileys abzugeben mit entgegengesetzter Bedeutung und beide Smileys stehen immer am Ende eines Satzes. Es ist also ein Leerzeichen davor und eines danach.

    Beispiele:

    • ":-)." und " :-(."
    • " :)." und " :(."
    • " ):." und " (:."
    • " :o)." und " :o(."
    • " :-/." und " :-\."
    • " :-[." und " :-]."

  3. Bestätigung

    Existiert eine Anfrage, gibt des für die Insassen, welche das angefragte Konsumutensil verkaufen können, die Möglichkeit mit einem Kommentar mit inhaltlicher Zustimmung zum "Anfrage-Post" zu antworten. Auch müssen dieselbe Anzahl an Bewertungssterne für das Buch vergeben werden wie bei der Anfrage.

Folgendes Bild zeigt ein Beispiel dazu auf:

Nach diesen drei Schritten ist ein Deal ausgemacht. Die tatsächliche Übergabe des Gutes erfolgt in der nächstmöglichen Pause am Hof.

Die gerade beschriebenen Regeln sollen im besten Fall folgende drei Kriterien erfüllen:

  1. Unauffälligkeit
  2. Unkompliziertheit
  3. Eindeutigkeit
Am wichtigsten für das Funktionieren dieses Systems ist die Einhaltung der Unauffälligkeit. Dies wird zum Einen durch die Streuung der Kommentare auf unterschiedlichste Bücher erreicht. Zum anderen wird die Unauffälligkeit gewährt durch den gezielten Einsatz von in der elektronischen Kommunikation üblicher Zeichen und der inhaltlichen Bezugnahme auf die Anfrage als Antwort. Unkompliziertheit ist gegeben, da es sich um ein System handelt, welches sich jederman einfach merken kann. Eindeutigkeit ist das Kriterium, welches am Ehensten vernachlässigbar ist, da, falls ein Insasse unwissend dieselben Zeichen verwendet und unbeabsichtigt eine Anfrage absendet, dieser in der nächsten Pause am Hof diesbezüglich Aufklärung findet.


Internetzugang

Basis für die Realisierung des Projektes ist die Annahme, dass den Gefangenen in den JVA's mindestens ein beschränkter Zugang zum Internet gewährt wird. Es ist anzunehmen, dass dies keine Utopie ist. TV und Fernsehen haben auch nach langer zeitlicher Verzögerung ebenfalls den Einzug ins Gefängnis erhalten. Vorstellbar wären kontrollierte Stationen, die es den Gefangenen ermöglichen im Internet zu surfen.


EBIB - Elektronische Bibliothek

Für die Erstellung des Ebook-Stores benötigt man eine Reihe von technischen Mitteln. Schritte zur Realisierung der Plattform:

  1. EBIB Konzeption

    Bei der Konzipierung von EBIB müssen Zweck und Nutzen der Plattform festgelegt werden. Ausserdem wird beschlossen, welche Features und Inhalte zu finden sein sollen. Diese Inhalte werden anschließend strukturiert und ein Layout wird erstellt. Dazu sind Tools wie Balsamiq äußerst hilfreich.

  2. EBIB Design

    Auf Basis der bestehenden Mockups wird das Screendesign der elektronischen Bibliothek erstellt. Es werden unterschiedliche Screens dargestellt. Ein Beispiel dazu liefert der Screen zur Detailansicht eines Buches.

  3. EBIB Umsetzung

    Für die technische Umsetzung dieser Plattform gibt es unterschiedlichste Möglichkeiten. Auf jeden Fall von Nöten ist neben der grundlegen Technologien im Web, wie der Einsatz von HTML, CSS, Javascript oder PHP, auch die Verwendung von Datenbanken. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde man in diesem Fall mit einem Content Management System, kurz CMS, arbeiten. Bespiele für CMS sind: Joomla, Wordpress oder Drupal.



Entstehung Idee

Die zentrale Fragestellung für die Entwicklung eines Konzeptes war wie man das Web sinnvoll für Randgruppen einsetzbar machen könnte. Im Rahmen des Kurses Net.Practice fand sich eine Grundidee die laufend durch Rücksprachen mit den Vortragenden und Studienkollegen weiter entwickelt worden ist. Mein erster Impuls war die Konzeption einer App, welche dem User die nächstgelegendste Möglichkeit aufzeigt Kondome zu beziehen bzw. der User auch Inhalte selbst einpflegen und warten kann. Die Recherche zeigte mir dann aber, dass eine ähnliche App schon besteht. Also überlegte ich erneut und gelang schnell zu dem Thema Internet und Gefängnis. Mein anfänglicher Ansatz war eine Art Kommunikationsplattform zu schaffen, wo Inhaftierte und Ex-Häftlinge sich reorganisieren können um wieder "gemeinsame Sache" zu machen und dafür Sicherheitslücken bestehender E-Learning-Systeme im Gefängnis zu nutzen. Erste Recherchen bezogen sich auf die Verfügbarkeit des Internets im Gefängnis und ergaben, dass bis auf sehr wenige Ausnahmen Zugang zum Internet nicht gewährt wird. Eine dieser Ausnahmen liefert die JVA Freiburg, welche seit 2003 den studierenden Insassen begrenzt und überwacht Zugang zum Internet gewährt (Quelle: http://fudder.de/artikel/2007/12/10/studieren-im-knast/, 22.06.2013). Zum Thema E-Learning im Gefängnis stieß ich online auf die TU Berlin, welche ein in Deutschland, Schweiz und Österreich eingesetztes System Namens ELIS entwickelt haben. In wie weit dieses tatsächlich in Verwendung in den Vollzugsanstalten in Verwendung ist, ist schwer herauszufinden. Es war mir bei der Online-Recherche nicht möglich festzustellen in welchen österreichischen Vollzugsanstalten dieses System eingesetzt wird oder nicht. Diese Intransparenz und das nicht vorhandene Wissen über die genauen Abläufe dieses E-Learning-Systems ließen mich weiter überlegen. Ich stieß dann auf die Thematik der Resozialisierung und überlegte mir ob es im Web Möglichkeiten gäbe kleinere Jobs von privaten Personen oder Firmen welche temporär Mangel an Personal haben für ehemalige Gefangene zu vermitteln. Das Problem hierbei ist aber das fehlende Vertrauen. Also gingen meine Überlegungen weiter. Der Ansatz war: Wie kann man mithilfe des Webs Bedürfnisse, die Insassen eines Gefängnisses haben, befriedigen? Was schnell zur Frage führte, was überhaupt Bedürfnisse von Gefangenen sind. Da in meinem Bekanntenkreis einige in der Sozialarbeit oder in einem ähnlichen Berufsfeld tätig sind, konnten relativ schnell Antworten gefunden werden. Unter anderem besteht ein Bedarf an Konsumgütern, die im Gefängnis äußerst knapp oder nicht vorhanden sind. Beispiele dafür sind Zigaretten, Filter oder Cannabis. Solche Güter werden eingeschleust und unter der Hand verkauft. Das Angebot ist gering und die Nachfrage groß. Man benötigt also gute Connections um solche Güter zu erlangen. Dies ist die Problematik die mich zu diesem Konzept führte.


Entstehung Design

Relativ zeitgleich mit der Entwicklung des Titels für mein Konzept entstand die Idee zur visuellen Umsetzung. In Form eines Posters wurden erste Visualisierungen umgesetzt:

In Version 1 und 2 sollten die zwei Stichwörter Gefängnis (in Form von Gitterstäben) und Netzwerk, welches die Gitterstäbe durchbricht) dargestellt werden. Version 2 bedient sich einer anderen Farbgebung und einer anderen Schriftfamilie als Version 1. Motivation war hauptsächlich, dass mir das Ergebnis von Version 1 zu sehr in Richtung Horror-Film-Genre ging.
Version 3 verbildlicht einerseits Strichcodes von den ISBN Nummern von Büchern und andererseits aber auch die Gitterstäbe in Gefängnissen. Diese werden wiederum durch den Titel des Konzepts unterbrochen und was den durch das Projekt entstehenden Freiraum repräsentiert.


Das Projekt EBOOKERIA ist vor allem interessant, weil eben gerade die Diskussion über Zugang zum Internet in Gefängnissen stattfindet. Auf der einen Seite steht die Betonung der Gefahr dadurch, auf der anderen Seite die Resozialisierung und die Nutzung des Internets als Menschenrecht. Das Projekt befasst sich mit Häftlingen als Randgruppe und wie ihnen mit einer elektronischen Vernetzung geholfen werden kann. Der Bezug zu "The Other Net" ist gegeben, denn EBOOKERIA befindet sich jenseits von Mainstream, beleuchtet mit den Gefangenen eine Gruppe die momentan noch zu größtenteils keinen Internetzugang besitzen, was unter den Begriff Digital Divide fällt. Eine bessere Form der Selbstorganisation wird mittels der Plattform EBIB für die Insassen der Justizvollzugsanstalten möglich gemacht.